All die schönen Abgründe – Verlagsvorstellung: Pendragon
Mit hochwertigen Krimis ist der unabhängige Pendragon Verlag aus Bielefeld bekannt geworden. Seit fast 40 Jahren entdeckt Verleger Günther Butkus literarische Stoffe – in einem Genre, das immer diverser wird. In diesem Jahr ist er dafür mit dem Deutschen Verlagspreis 2020 ausgezeichnet worden.
Eine Verlagsvorstellung von Stephanie Drees.
Zum Beispiel Crissa Stone. Sie ist eine veritable und durchsetzungsfähige Diebin. Eine taffe Frau, die durch die Staaten reist, hier eine Pokerrunde mit knallharten Typen bestiehlt, dort den Berufsklassiker Bankraub neu erfindet. Ein echter Profi.
Ihr Erfinder, Wallace Stroby, hat seine Heldin mit der Art Pragmatismus ausgezeichnet, die das Überleben in einer unerbittlichen Männerwelt möglich macht. Und, wie sollte es anders sein: Hinter der abgebrühten Fassade schlägt ein verletzliches Herz.
Stroby lässt Crissa in Titeln wie “Kalter Schuss ins Herz”, “Geld ist nicht genug” oder “Der Teufel will mehr” durch die Unterwelt eines wirtschaftskrisen-gebeutelten Amerikas rasen. Eine eigenwillige, lakonische Neubelebung des Hardboiled-Genres. Crissa Stone ist eine, die den Archetypus des hartgesottenen, einsamen, kettenrauchenden und klassischerweise männlichen Genre-Protagonisten ein wenig alt aussehen lässt.
Im einst männerdominierten Krimigeschäft haben die Frauen immens aufgeholt. Als Figuren, aber, auch und vor allem: als Autorinnen. Auch davon erzählt die Geschichte des Pendragon Verlages.
Der Verleger Günther Butkus hat die Reihe um Crissa Stone nach Deutschland geholt. Es ist eine der Neuentdeckungen des Verlages mit Sitz im ostwestfälischen Bielefeld. Pendragon gibt es seit 1981. Mit zwei Mitarbeiterinnen gestaltet Butkus das gesamte Programm: Grafikerin Uta Zeißler kümmert sich um die Gestaltung der Umschläge, um Vorschauen, Gesamtverzeichnisse sowie die gesamte Herstellung, Jessika Tiekötter um Pressearbeit und Veranstaltungen. Für das Lektorat ist das gesamte Team verantwortlich. Dazu kommt die Unterstützung von Freiberufler*innen bei Vertrieb und Kommunikation. Pendragon ist ein etablierter Verlag, einer der größeren unter den kleinen, unabhängigen. Fünfzehn Titel gibt er im Jahr heraus. Manuskripte liest der Verleger in seiner Freizeit, während des Tagesgeschäftes bleibt dafür keine Zeit. Günther Butkus entwickelt die Ausrichtung seines Programms stets weiter. Mit Krimis ist der Verlag bekannt geworden, in den letzten Jahren ist verstärkt Gegenwartsliteratur dazu gekommen. Der Kreis schließt sich.

In den Anfängen bringt Butkus unter anderem Werke von Günter Wallraff und Friedrich Christian Delius heraus. Prosa, Lyrik. Die Gedichte liegen ihm ohnehin am Herzen: Er startet, weil er einen eigenen Gedichtband in die Welt bringen will. Im Selbstverlag. Er leckt Blut, professionalisiert sich und setzt bei der Namensfindung Uther Pendragon, dem Vater von König Artus aus der Artussage, ein weiteres Denkmal. Der strenge wie überaus durchsetzungsfähige König wird zur Inspiration – finden sich doch Feder und Fabeltier in seinem Namen. In Folge werden ihm zunächst viele Fantasy-Manuskripte angeboten.
Günther Butkus ist 23 Jahre alt, als er den Verlag gründet, ohne tiefere Erfahrungen in der Buchbranche, ein Quereinsteiger, ausgebildeter Erzieher. Er fängt im Alleingang an, quasi aus dem Nichts heraus. Es ist learning by doing. „Man hangelt sich von Buch zu Buch“, sagt er, „wichtig war mir immer, dass ich Stoffe verlege, die besonders sind. Weil sich eine spezielle Tiefe in den Figuren findet, weil mit den Regeln des Genres gespielt wird, weil die Sprache einzigartig ist.“
Er ist ein klassischer Überzeugungstäter. Während der ersten Jahre, als Jungverleger, arbeitet Butkus nebenbei in der Industrie. Er wächst in das Geschäft hinein und sein Verlag mit ihm. Für Titel, die er übersetzt, muss er die Rechte von einer Agentur einkaufen. Er beginnt zu einer Zeit, in der Kriminalliteratur vom Feuilleton nicht beachtet wird, das ganze Genre für viele noch im seichten Wasser schwimmt. Auch dagegen tritt er an.
Langfristig zahlt sich das aus.
Mehrmals wurden Autoren des Pendragon Verlags mit dem Deutschen Krimi Preis ausgezeichnet, zum Beispiel Detlef Bernd Blettenberg für “Berlin Fidschitown” und Mechthild Borrmann für “Wer das Schweigen bricht“. Von einigen Bücher gibt es Hörbücher und Hörspielproduktionen, mehrere Krimis wurden erfolgreich vom ZDF verfilmt (unter anderem die Romane von Thomas Bogenberger), viele Bücher sind als Lizenzen im Ausland erschienen. Doch verlegerische Arbeit ist und bleibt ein Kraftakt. Gerade in Zeiten von Corona. Umso wichtiger sind die Buchhandlungen, weil sie Titel für Leser*innen sichtbar machen. Entdecken kann man nur, was auf den Tischen ausliegt.
„Bücher aus kleineren Verlagen finden nicht so leicht einen Platz an der Sonne, aber zum Glück gibt es viele Buchhändler*innen, die unsere Bücher und Autoren unabhängiger Verlage schätzen und deren Autoren zu Lesungen einladen“, sagt Günther Butkus.
Worüber sprechen wir, wenn wir von „guter“ Literatur sprechen? „Zum Beispiel: Figuren, die mich beim Lesen vergessen lassen, dass sie Figuren sind“.
Seit 2002 verlegt Pendragon amerikanische und deutsche Kriminalliteratur. Thriller, Hardboiled, Whodunits – das gesamte Spektrum. Darunter auch die Titel von James Lee Burke, dessen 23-bändige „Dave Robicheaux-Reihe“ komplett bei Pendragon erscheinen wird. Zuletzt ist “Blues in New Iberia” herausgekommen (Übersetzung Jürgen Bürger). Burke ist einer der wichtigsten Kriminalschriftsteller weltweit.
Pendragon ist der einzige Verlag, der die Shaft-Kultreihe des amerikanischen Autors Ernest Tidymann in Gänze veröffentlicht hat. Ein schwarzer Privatdetektiv aus Harlem, die unerbittliche Stadt der Städte, Titel wie “Shaft und das Drogenkartell” oder “Shaft und die sieben Rabbiner” – es sind Stories, die von locker sitzenden Knarren, Männlichkeitsmythen und Hinterzimmer-Zigarren erzählen. Auch: von sozialer Verrohung und schwarzer Selbstbehauptung.
Ein Großteil des Werkes von Krimi-Großmeister Robert B. Parker ist bei dem Verlag auf Deutsch verlegt, darunter eine neunbändige Reihe seiner Jesse-Stone-Bücher, die mit Tom Selleck verfilmt wurden.
Daneben stehen Romane und Kriminalromane, die von Zeitgeschichte erzählen, oftmals beruhen sie auf historischen Personen und Begebenheiten. Autor*innen, die das Leben der Protagonist*innen in ihrer Epoche ausleuchten. Kerstin Ehmer ist dafür ein gutes Beispiel. Mit Romanen wie “Der weiße Affe” und seiner Fortsetzung “Die schwarze Fee” zeichnet sie den Schauplatz Berlin in Zeiten der Weimarer Republik: Clubs, Musik, Tanz, Milieu. Und eine Tätersuche voller psychologischer Abgründe.
Auch wichtig für diesen Programmbereich sind die Autor*innen Stefanie Gregg, Kevin Major, Alexander Häusser, Anke Gebert oder Sandra Brökel. Bei den aktuellen Erscheinungen interessant: Die Neuübersetzung (Bernd Gockel) von Stephen Cranes “Die rote Tapferkeitsmedaille”. Ein Roman über das Leben als Soldat im amerikanischen Bürgerkrieg. Rau, introspektiv, sehr nah an den Seelenlandschaften der Protagonisten. Crane hat die Sicht auf Krieg damit massiv geprägt und der Verlag tut gut daran, den Klassiker wiederzubeleben. Parallel dazu erschien just von Andreas Kollender “Mr. Crane”, ein historischer Roman über den schillernden Autor, Journalist und Kriegsberichterstatter. Ein gutes Neuerscheinungs-Doppel und ein kleiner Marketing-Coup.
Und dann sind da noch die Geschichten im Alltag eines Verlegers, die einfach passieren. Wenn auch selten. Unverlangt eingesandte Manuskripte, so kenntnisreich und spannend geschrieben, dass sie ihren Weg aus der Post in das Verlagsprogramm finden. „Frostmond“ der Autorin Frauke Buchholz ist so ein Titel, der im Frühjahr 2021 bei Pendragon erscheinen wird: Ein indigenes Volk, Leben in einem US-Reservat, soviel verrät Günther Butkus über das Setting. Und dass der Roman „hochaktuell“ sein wird.
Auch das kann gute Literatur beim Lesen bewirken, sagt Günther Butkus: „Erst ein Stich ins Herz, dann einer in den Kopf“.
Dieser und alle weiteren Artikel des mojoreads Literaturmagazins sind redaktionell frei und ohne werblichen Einfluss entstanden. Autor*Innen, Verlage und/oder andere Partner*Innen haben keine Möglichkeit Werbung zu schalten. mojoreads finanziert sich als Onlinebuchhandlung vom Verkauf der Bücher auf der Plattform als auch derer, die im Magazin empfohlen werden. Wenn du dieses Magazin weiterhin kostenlos lesen möchtest, erwirb bitte im Gegenzug deine Bücher über die Artikelverlinkungen oder via mojoreads.de.