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Bedingungsloses Grundeinkommen Barbara Prainsack-2

Yvonne Franke Gesellschaft Barbara Prainsack, Bedingungsloses Grundeinkommen, Brandstätter Verlag, Interview, Sachbuch, Vom Wert des Menschen

Die österreichische Politikwissenschaftlerin Prof. Dr. Barbara Prainsack hat in ihrem Buch “Vom Wert des Menschen” (Brandstätter Verlag) einen Weg gefunden, das zur Zeit besonders dringlich erscheinende Streitthema bedingungsloses Grundeinkommen vorurteilsfrei zu untersuchen. Sie schreibt keine Streitschrift dafür oder dagegen, sondern wirft einen ausführlichen Blick auf die Hintergründe der Argumentationslinien beider Seiten. Yvonne Franke hat mit ihr über die Zweifel und Hoffnungen gesprochen, die das Konzept Grundeinkommen in sich trägt:


YF: Um sich dem Thema bedingungsloses Grundeinkommen zu nähern, schlagen Sie in Ihrem Buch zunächst einmal einen weiten Bogen bis hin zu Platon und Aristoteles. Warum?

BP: Weil ich glaube, dass das überzeugendste Argument für ein bedingungsloses Grundeinkommen die Menschenwürde ist – als Ausdruck dessen, dass jeder Mensch Wert hat, unabhängig davon, wie jung oder alt er ist, oder ob er einer Erwerbsarbeit nachgeht oder nicht.  Was der Blick in die (Ideen)geschichte hier zeigt, ist, dass es in der Vergangenheit sehr andere Ansichten zur Frage gab als heute, ob Arbeit etwas Gutes ist oder nicht, und in welchem Zusammenhang mit dem „Wert des Menschen“ steht.

YF: Ist Bedingungslosigkeit hier überhaupt möglich? Also, kann es zum Beispiel egal sein, wie lange man seinen Hauptwohnsitz in dem jeweiligen Land hat?

BP: Bedingungslosigkeit meint, dass man, wenn man die Formalkriterien erstmal erfüllt, die Geldzahlung nicht mehr verlieren kann, weil man irgendetwas tut oder nicht tut. Ein bedingungsloses Grundeinkommen darf etwa nicht daran gebunden sein, dass man es nur für bestimmte Dinge ausgibt, wie etwa Lebensmittel. Und es darf nicht davon abhängen ob man arbeitswillig ist, oder nicht. Das meint die Bedingungslosigkeit. Davon unabhängig ist die Frage, ob jemand überhaupt erst in den Bezieher*innenkreis des Grundeinkommens fällt. Die meisten Modelle eines bedingungslosen Grundeinkommens sehen hier vor, dass Menschen erst für eine bestimmte Zeit in einem Land gelebt haben müssen (z.B. ein Jahr), bevor sie anspruchsberechtigt sind. Manche Modelle wollen das Grundeinkommen überhaupt nur an Staatsbürger*innen auszahlen – aber das wäre sowohl ethisch als auch europarechtlich problematisch.

YF: Was bedeutet die Corona-Krise für die Diskussion um das Thema bedingungsloses Grundeinkommen?

 BP: Es ist kein Zufall, dass das Thema jetzt in vielen Ländern so akut wird. In Spanien, aber auch in Deutschland und in anderen Ländern, haben manche Menschen nicht mehr genug zu Essen.

 YF: Glauben Sie die aufgeheizte Stimmung im Land würde sich durch ein Grundeinkommen entspannen?

BP: Gäbe es ein bedingungsloses Grundeinkommen, dann müsste niemand in extremer Armut leben, und Menschen müssten sich nicht erst wochenlang durch Antragsformulare quälen und danach nochmal solange warten, um zu erfahren, ob und für wie lange ihnen geholfen wird. Demütigung und Unsicherheit würden reduziert. Das würde vielen Menschen Druck nehmen und sich auch positiv auf ihre psychische und physische Gesundheit auswirken.

 YF: Kann man sagen, dass Menschen mit finanziellen Sorgen eher für ein bedingungsloses Grundeinkommen sind? Oder gibt es dort auch Zweifel?

 BP: Wir wissen es nicht sicher. Sicher kann ich aber sagen, dass es zumindest keine Daten gibt, die dies beweisen. Im Gegenteil: An der Universität Wien haben wir eine repräsentative Umfrage der in Österreich lebenden Menschen ab 14 durchgeführt und sie zu zwei Zeitpunkten – im April und im August 2020 – nach ihrer Meinung zum bedingungslosen Grundeinkommen befragt. Erstens ist die Zustimmung zum Grundeinkommen in diesen dreieinhalb Monaten um sieben Prozentpunkte gestiegen, was vermutlich mit der Coronakrise zu tun hat. Zweitens haben wir gesehen, dass sich unter den „neuen“ Befürworter*innen – also jenen, die noch im April dagegen waren und jetzt dafür sind – hauptsächlich Menschen befinden, denen es finanziell ganz gut geht. Auch wenn man sich die Daten von anderen Ländern und Kontinenten ansieht entsteht der Eindruck, dass die Frage, ob jemand ein bedingungsloses Grundeinkommen befürwortet oder nicht, in erster Linie vom Menschenbild abhängt und nicht von der eigenen Nutzenmaximierung motiviert ist.

YF: Was außer der unklaren Finanzierbarkeit spricht dagegen?

BP: Die Finanzierbarkeit spricht meiner Meinung nach nicht dagegen; wenn wir wollen, können wir uns ein bedingungsloses Grundeinkommen leisten. Ein Problem, das noch nicht gelöst ist, ist hingegen das der Einführung: Es wäre nicht klug, Menschen von heute auf morgen 1200 Euro monatlich zu überweisen und alles andere gleich zu lassen. Mit der Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens müsste eine Steuerreform einhergehen, und man müsste es auch phasenweise einführen, damit man Zeit hat, zu evaluieren, wie es sich auf die unterschiedlichsten Lebens- und Wirtschaftsbereiche auswirkt. Ein anderes ungelöstes Problem ist das der Geschlechtergerechtigkeit. Wenn wir – wie es viele von uns tun – sagen, dass das bedingungslose Grundeinkommen auch eine Ankerkennung der unbezahlten Arbeit ist, die viele Menschen schon tun, dann besteht die Gefahr, dass man Leuten die unbezahlte Pflegearbeit leisten, sagt: jetzt bekommst du ja eh Geld, jetzt kannst du zu Hause bleiben und den Haushalt machen und die gebrechlichen Angehörigen versorgen. Wenn letzteres eine freie Entscheidung ist, ist das völlig ok, aber das ist es oft ja nicht.

 YF: Könnte ein Grundeinkommen Arbeitgeber dazu verführen, Gehälter niedrig zu halten?

Prof. Dr. Barbara Prainsack (Foto: Gregor Hofbauer)

BP: Ja und nein. „Ja“ deshalb, weil es natürlich gerade auch kleinen Unternehmen Druck nehmen würde; denn auch die Chefin oder der Chef selbst bekommen ja jeden Monat ihr Grundeinkommen. Und alle ihre Mitarbeiter*innen. Da könnte es schon sein, dass man in Zeiten, in denen es wenig Nachfrage gibt – wie zum Beispiel jetzt in der Coronakrise – die Arbeitsstunden reduziert, weil man damit ja dann nicht die Existenz der Menschen nicht in Gefahr bringt. Und „nein“ deshalb, weil ein bedingungsloses Grundeinkommen gerade den Niedriglohnsektor unter Druck bringen würde. Jobs, die sowohl monoton, schmutzig, demütigend, oder gefährlich und schlecht bezahlt sind die gäbe es nicht mehr. Man müsste den Menschen dann mehr bezahlen, damit unangenehme Arbeit weiterhin getan wird.

YF: Was kann jemand, der oder die sich noch nie mit dem Thema beschäftigt hat aus der Lektüre ihres Buches mitnehmen? Und warum gerade jetzt?

Auch wenn man zu Beginn der Krise immer noch gehört hat, dass das Virus „nicht diskriminiert“ und alle trifft, so trifft es doch die Menschen sehr ungleich. Mittlerweile ist die Evidenz von Studien aus allen Kontinenten erdrückend: Die wirtschaftliche und soziale Schere geht noch weiter auf. Es geht jetzt darum, nicht nur die schlimmsten und akutesten Folgen der Krise zu mildern, sondern auch Weichen zu stellen, damit wir als Gesellschaft – und insbesondere jene, die es schon ohne Krise schwer haben – besser geschützt sind. Armutsbekämpfung und die Schaffung eines nachhaltigen Wirtschaftssystems gehören dazu. Auch darum geht es übrigens in meinem Buch: im letzten Kapitel zeige ich auf, was es braucht, um zu einer Gesellschaft zu kommen, die den Menschen und dem Planeten gut tut – und welche Rolle ein bedingungsloses Grundeinkommen dabei spielen kann.  Neben diesen „großen Fragen“ – nach dem Wert des Menschen in unserer Gesellschaft, und dem guten Leben im digitalen Zeitalter – geht es im Buch auch um praktische Dinge, zum Beispiel darum, wie ein bedingungsloses Grundeinkommen finanziert werden könnte.  LESEPROBE


Barbara Prainsack: “Vom Wert des Menschen”

Geld ohne Leistung? Einfach so? Und wer soll das bezahlen? Das sind nur einige Fragen, wenn es um das bedingungslose Grundeinkommen geht – Fragen, die angesichts der Folgen der Corona-Krise aktueller sind denn je. Barbara Prainsack liefert endlich Antworten. Und das abseits von Ideologien, sondern aus der Sicht von Betroffenen: dem Tiroler Gastronomen, der kaum Fachkräfte findet. Dem IT-Unternehmer, der überzeugt ist, dass mit einem Bürgergeld “alle auf der faulen Haut” lägen. Oder den Eltern einer Jung-Akademikerin, die sich fragen, ob es für ihre Tochter mehr als unbezahlte Praktika gibt. Prainsack, international renommierte Expertin für Technologiepolitik, erklärt verständlich zentrale Begriffe, deckt falsche Argumente auf und erhellt, wie die Umsetzung in Österreich, Deutschland und Europa gelingen kann. Ein Leitfaden für das Sozialsystem von morgen, bei dem eine Frage im Mittelpunkt steht: Wie viel ist der Mensch in Zeiten der Digitalisierung und tiefgreifender Umbrüche noch wert? Die Antwort betrifft uns alle.

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