Zum 100.Geburtstag von Patricia Highsmith: Anything human was alien to her
Von Patricia Highsmith zu erzählen, und dann auch noch in einem Text, der nicht die Länge einer Doktorarbeit haben soll, ist nicht einfach. Nicht nur wegen ihres umfangreichen Werks oder ihres widersprüchlichen Wesens, sondern vor allem wegen der schwer zu bewältigenden Gefühle, die die Beschäftigung mit der Autorin und ihrer Arbeit auslöst.
Eine Annäherung von Yvonne Franke
Von +Der talentierte Mr. Ripley dürften die meisten Menschen schon gehört haben. Ein Spannungsroman? Das stellt man sich ganz nett vor. Ein bisschen leichte Unterhaltung. Dann die Überraschung: Die elegante Sprache, die komplexen Figuren, die vollkommene Unvorhersehbarkeit, dieses erschütternde Wechselspiel zwischen Zartheit und Brutalität. Alles klar! Das könnte wirklich aufregend werden.
Dann mal ganz von vorn:
Mit einem größeren Knall kann eine Autorinnenkarriere nicht beginnen als mit einem Werk wie +Zwei Fremde im Zug, dem Debütroman der 29-Jährigen Texanerin Patricia Highsmith. Das war im Jahr 1950. Am 19. Januar 2021 wäre sie 100 Jahre alt geworden. Nur ein Jahr nach Erscheinen des Romans kaufte Alfred Hitchcock den Stoff und seine Verfilmung machte die junge Autorin weltberühmt. Doch das Erstaunliche an diesem
Erstlingswerk ist nicht sein schneller Erfolg, sondern sein sicherer Stil, die lückenlose Story und die atembestimmende Spannung. Eine Spannung, die nicht nur in Verfolgungsjagden entsteht, sondern insbesondere in den zu zerbersten drohenden Beziehungsgeflechten. Bis heute ein Lehrstück für Spannungsautor*innen, das auch deshalb so erschüttert, weil Highsmiths Zugang zu ihren Figuren der einer Schachmeisterin ist, planvoll.
„Anything human was alien to her“,
behauptet ihre Biografin Joan Schenkar ( +Die talentierte Miss Highsmith, 2009). Ihr war alles Menschliche fremd. War es also letztlich eine Art Forscherdrang, mit dem sich Highsmith ins Innere ihrer Figuren wagte?
Oft leben diese in einer düsteren Nische zwischen Fühlen, Denken und Handeln. Dort, wo man jemanden, für den man zärtliche Gefühle hat, aus rein taktischen Gründen ermorden kann. Wenn so ein Mord ordentlich begründet ist im Inneren, stellt sich praktischerweise auch kein schlechtes Gewissen ein. Und wer kein schlechtes Gewissen hat, ist nicht verdächtig. Schach Matt.
Von Roman zu Roman wird deutlicher, dass es bestimmte Figurenkonstellationen sind, denen Highsmith sich vorgenommen hat, auf den Grund zu gehen. Ihre Helden sind oft leidenschaftliche, leicht entflammbare junge Männer ( in +Salz und sein Preis nimmt diese Rolle eine junge Frau ein), die sich mit ihrem ganzen Sein einem anderen Menschen ausliefern. So tiefgehend, dass irgendwann ein brutaler Befreiungsschlag nötig ist, ausgeführt in kühlster Besonnenheit. Doch auch, wenn man diesen Zusammenhang erkannt zu haben glaubt, bleibt es unmöglich den nächsten Handlungsschritt vorauszuahnen. Es ist faszinierend. So faszinierend, dass man unweigerlich beginnt, sich für die Person Patricia Highsmith zu interessieren. Ist sie dieser wiederkehrende junge Mann in all seinen Daseinsformen?
Wer schreibt da?

Patricia Highsmith war eine Art überfunktionelle Alkoholikerin, die das Trinken also nicht vom Schreiben abhalten konnte – aber eben auch nicht umgekehrt.
Morgens Orangensaft mit Wodka, nachmittags Martinis, abends Wein und Whisky, zwischendrin mal ein Bier. Dass sie nach dem großen Erfolg von
+Zwei Fremde im Zug ihr Zweitwerk „Carol“ (später +Salz und sein Preis), das von der Liebe zwischen zwei Frauen erzählt, zunächst unter einem Pseudonym veröffentlichte, kann man als Karriereentscheidung werten, die sicherlich auch der Zeit geschuldet war. Sie schuf sich eine Welt, in der sie ihre Homosexualität einigermaßen frei leben konnte, indem sie sich abschottete und ihren Freundeskreis mit Bedacht wählte. In den seltenen Interviews, die sie gab, sprach sie so wenig wie möglich über Privates. Erst 1990 erschien +Salz und sein Preis unter Highsmiths Namen. Dass sie aber auch ihre Tagebücher umarbeitete, Geschehnisse umschrieb und umdatierte, damit sie einer bestimmten Dramaturgie folgten, oder zu ihren
Behauptungen passten, ist entlarvend.

Die Autorin Marijane Meaker, die etwas über 2 Jahre lang Highsmith’s Lebenspartnerin war, beschreibt sie in ihrem biografischen Text „Meine Jahre mit Pat“ (nur noch antiquarisch erhältlich) als faire, sanfte, geduldige und erstaunlich vergebende Liebende. Eine, die man im Streit mit den ungerechtesten Vorwürfen vor den Kopf stoßen konnte. Am nächsten Morgen sprach sie nicht mehr davon. Das Paar hatte sich Ende der 50 er Jahre in New York kennengelernt, als Highsmith für ein paar Wochen aus ihrem geliebten Europa angereist war. Sie verachtete die USA, leidenschaftlich. Ihr Heimatland langweile sie, behauptete sie und außerdem könne sie in Europa besser arbeiten. Dass Highsmith in Europa wesentlich erfolgreicher war als in den USA, schon was die reinen Verkaufszahlen ihrer Bücher anging, mag zu diesem Urteil beigetragen haben. Der Liebe zu Meaker wegen blieb sie Jahre länger, als sie ertragen konnte. Die Verbindung scheiterte letztlich an Highsmiths Trunksucht.
Als beide sich 27 Jahre später wiederbegegnen, erinnert Meaker kaum einen Satz aus Highsmiths Mund, der nicht vor Hass und Vorurteilen überquillt. Wie einen Haken bohrt sie Rassismus und vor allem Antisemitismus in jede auch noch so harmlose Unterhaltung. Und der Haken bleibt stecken bis das Gegenüber aufhört zu zappeln.
Patricia Highsmith hatte viele sich widersprechende Eigenschaften. Sie war liebevoll und grausam. Ihre Freund- und Liebschaften waren nicht oberflächlich, sie hielt es aber nicht aus, mit jemandem zusammenzuleben. Das brachte einfach zu viel nötige Höflichkeiten mit sich und hielt sie von der Arbeit ab. Die Beziehung zu ihrer Mutter war ein ewiges Wechselspiel zwischen Liebes- und Hassbekundungen – in dicken Briefen und auch körperlichen Auseinandersetzungen.
Dass Patricia Highsmith im Jahr 1995 mit 74 Jahren an zwei tödlichen Krankheiten, deren Behandlungen sich gegenseitig ausschlossen, starb (eine Knochenmarkserkrankung und Tumore in Lunge und Nebennieren. Eine Chemotherapie hätte wiederum das Knochenmark angegriffen), erscheint fast wie eine dramaturgische Notwendigkeit.
Ihr letztes Zuhause war ein von ihr selbst geplantes Haus im Tessin, das von Freund*innen „Hitlers Bunker“ genannt wurde. Wegen der Kälte, die es ausstrahlte und auch wegen der schießschartenartigen Fenster. Eine Art Festung der Einsamkeit, in der sie allerdings auch +Small G – Eine Sommeridylle schrieb, ihren zweiten (schwul-) lesbischen Liebesroman, der nicht ganz ohne Morde auskommt.
Die Beschäftigung mit Highsmiths Werk, aber auch mit ihrer Person, kann schnell zur Obsession werden,
weiß man spätestens nach der Lektüre von Joan Schenkars faszinierender Biografie. Schenkar ließ an einem Punkt ihrer exzessiven Recherche sogar Highsmiths Blut analysieren und sprach mit hunderten von Menschen aus ihrem Umfeld, mit den meisten mehr als 10 Mal und jeweils über Stunden. Der Recherche- und Schreibprozess erstreckte sich über sechs Jahre. Eine ebenso lohnende wie seltsam bedrohliche Leseerfahrung, die einen so einnimmt, dass man das fast 1000-seitige Sezierwerk in regelmäßigen Abständen verschwinden lassen will.
Auch, wenn man Minuten später den nächsten Highsmith Roman (+Tiefe Wasser zum Beispiel. Mit dem sanften betrogenen Ehemann, der beginnt herumzuerzählen, er habe den Liebhaber seiner Frau ermordet. Und dann? Ja, dann!) in Händen hält und, wieder eingefangen und gefesselt, jeden Mord versteht und keine der Wendungen vorhersieht.

Im Herbst diesen Jahres veröffentlicht Diogenes Auszüge aus Highsmiths Tagebüchern. Joan Schenkar hatte im Zuge ihrer Recherchen bereits Einblick in die Schriften und fand darin auch die Erzählungen über Highsmiths scharfen Antisemitismus bestätigt. Schenkar scherzt in Interviews gern darüber, dass Highsmiths Karma dafür gesorgt hat, dass man eine Jüdin damit beauftragte, ihre Biografie zu schreiben. Man fand Highsmiths Tagebücher übrigens in ihrem „Bunker“ in Tessin hinter Handtüchern und Bettlaken im Wäscheschrank versteckt. Warum bearbeitet man seine Tagebücher für eine zukünftige Leserschaft und lässt sie dann verschwinden?
Es geht schon wieder los.
Miss Highsmith is still alien to me.
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